Perseus, Sohn des Königs von Athen, erhält von der Göttin Athene den Auftrag, ihr das Haupt der Gorgone Medusa zu bringen, eines in Kleinasien lebenden schlangenhaarigen Monsters mit versteinerndem Blick. Perseus macht sich auf den Weg, erwirbt auf kleineren Abenteuern unterwegs diverse Waffen von den Göttern, darunter eine Tarnkappe von Hermes, und findet und enthauptet Medusa schließlich. Auf dem Rückweg befreit er nebenbei noch Andromeda, die Tochter eines ansässigen Königs, die einem Meerungeheuer geopfert werden sollte. Der Held heiratet natürlich die Prinzessin, wobei ihr vorheriger Verlobter, der sich an Perseus zu rächen sucht, von ihm mit Hilfe des Medusenhauptes versteinert wird. Andromeda und Perseus kehren nach Athen zurück.
So weit die antiken Autoren. Heutiger Forschung stellt sich das Thema jedoch
ein wenig anders dar. Es ist mittlerweile eine anerkannte Tatsache, daß in der
Bronzezeit einwandernde vaterrechtlich dominierte Stämme im Mittelmeerraum die
ansässigen mutterrechtlichen Gesellschaften verdrängten [2]. Dabei wurden
einige Göttinnen der alten Gesellschaften in die Götterwelt der Einwanderer
integriert (als "Gattin"), andere wurden zu Monstern degradiert, die es zu
besiegen galt.
Es gibt Hinweise, daß die Erdgöttin in Kleinasien in Gestalt einer geflügelten
Schlange verehrt wurde und daß ihre Priesterinnen während der Kulthandlungen
schlangenverzierte Masken trugen [1]. Das "Kopfabschlagen" aus der Dichtung
könnte also gut eine verfremdete Version dessen sein, daß einer Priesterin die
Maske heruntergerissen wurde (man überlege sich den Symbolgehalt dieser
Handlung!). Medusas Schlangenhaare wären dann im Original die Verzierungen der
Maske gewesen, und Perseus nichts weiter als ein Jüngling, der sein eigenes
Initiationsritual gründlich verpatzte. (Ich schließe mich der Meinung an, daß
Perseus "zur Strafe" statt einer selbstbewußten weisen Priesterin ein
verzogenes unselbstständiges Prinzeßchen bekam [5].)
Darauf deutet auch hin, daß er von Athena ausgeschickt wurde. Die Verbindungen
von Athena und Medusa deuten darauf hin, daß beide ursprünglich Aspekte ein-
und derselben Weisheitsgöttin waren [1], deren "verstandesdominierter" Teil
als Athene in das Pantheon der Einwanderer übernommen wurde, während der
geheimnisvoll-dunkle Anteil als Medusa zum "Monster" wurde. Solche Spaltungen
sind auch von anderen Gottheiten bezeugt, zum Beispiel Python-Apollon [3].
Interessanterweise gibt es auch noch eine ganz andere Bedeutung des Wortes
"Medusa". Auf Ägyptisch bedeutet "medu" (Transkription: mdw) sowohl
"sprechen" als auch "das Wort". Durch Anhängen eines "s" geht die
Transkription in "mdw.s" über, das "Medusa" gelesen werden kann und
grammatikalisch sowohl "sie spricht" als auch "durch ihr Wort" bedeuten kann
[6].
"Medusa Iseum" hat folglich die versteckte Bedeutung "Iseum, das durch Ihr
Wort ist (existiert)". Manchmal sind die Wege der Göttin wirklich von
ausgesuchter Raffinesse...
[1] Le Van, Alicia: The Gorgon Medusa.
Final Paper/Women in Antiquity course,
http://www.perseus.tufts.edu/classes/finALp.html
[2] Zingsem, Vera: Göttinnen großer Kulturen. DTV, München 1999.
[3] Cerny, Christine: Das Buch der Naturgeister.
Goldmann Verlag, München 1997.
[4] Apollodor: Bibliotheke, II 39-48.
[5] Rt. Rev. C.Wehmeyer (F.O.I.), persönliche Kommunikation.
[6] Graefe, Erhart: Mittelägyptisch - Grammatik für Anfänger.
5. Aufl., Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 1997.